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14.6.2018 -

„2040 ist die Überseeinsel das Quartier, in dem man leben und arbeiten möchte!“

Stadtentwicklung

An der Südseite des Europahafens sind die Weichen für ein neues städtebauliches Sahnestück gestellt – die Überseeinsel, das 15 Hektar große ehemalige Kellogg’s-Betriebsgelände. Die wassernahe, zentrale Lage innerhalb des 41 Hektar umfassenden Gesamtgebiets Europahafen-Süd sowie die historische Industriebebauung bilden den Rahmen für ein zukunftsfähiges Quartier mit Vorbildcharakter. Investor des früheren Kellogg’s-Areals ist die Überseeinsel GmbH, vertreten durch Dr. Klaus Meier. Im Interview spricht er über Chancen, Herausforderungen und Zukunftsvisionen für die Überseeinsel.

Dr. Klaus Meier, Geschäftsführer der Überseeinsel GmbH
© WFB/Frank Pusch

Herr Dr. Meier, das Städtebauprojekt Überseeinsel ist aktuell in aller Munde. Um welches Areal geht es genau?

Die Überseeinsel ist ein Teil des Gesamtareals Europahafen-Süd, nämlich die ehemalige Kellogg‘s-Betriebsfläche. Der vollständige Bereich Europahafen-Süd wird eingefasst vom Europahafen im Norden und der Weser im Süden. Es handelt sich um eine 41 Hektar große Halbinsel – also eine besondere Lage, die an drei Seiten vom Wasser umgeben ist. In einem 15 Hektar großen Teilbereich war über 50 Jahre lang das US-Unternehmen Kellogg unter anderem mit der Produktion von Cornflakes angesiedelt; es gibt viele Schuppen und Industriebebauung. Nach der Werkschließung im November 2017 entstand eine neue Situation, gefragt war ein tragfähiges Konzept für die Zukunft. Die Vorstudien trugen noch den Arbeitstitel „Europahafen Südseite“ – heute sprechen wir passenderweise von Europahafen-Süd und der Überseeinsel.

Ende Mai unterzeichneten Sie und die Stadtgemeinde Bremen – vertreten durch Dr. Joachim Lohse (Senator für Umwelt, Bau und Verkehr) – einen städtebaulichen Vertrag zur Entwicklung der Überseeinsel. Dies geschah im Rahmen einer gemeinsamen Sondersitzung der städtischen Deputationen für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung, Energie und Landwirtschaft sowie für Wirtschaft, Arbeit und Häfen. Welche Inhalte und Eckpunkte sind im Vertrag festgehalten, welche konkreten Pläne und Ziele?

Es handelt sich um den groben Rahmen für die nächsten Jahre. Einerseits werden die Ergebnisse des städtebaulichen Wettbewerbs beschrieben. Als Investor bekennt sich die Überseeinsel GmbH außerdem zu den Ergebnissen der Vorstudien und sagt: So wollen wir bauen. Das betrifft Art und Ausmaß der Bebauung, zum Beispiel die Höhe. Im Vertrag ist zudem geregelt, dass Kindertagesstätten, eine Grund- und eine Oberschule gewünscht sind und entsprechende Flächen zur Verfügung gestellt werden. Überdies ist darin grob das Verhältnis von Wohnen und Arbeiten zu öffentlicher Nutzung skizziert.

Galt es bei der Vertragsentwicklung Vorbehalte oder andere Hürden zu überwinden?

Es gab bei den unterzeichnenden Parteien eine große Übereinstimmung der Interessen. Das war wirklich ein sehr angenehmer Verhandlungsprozess. Was bemerkenswert ist, denn normalerweise werden im Geschäftsleben Verträge widerstreitend ausgehandelt, unterschiedliche Interessen und Preise hart verhandelt. Das war hier aufgrund der gleichlaufenden Interessen des Senators für Wirtschaft, Arbeit und Häfen sowie des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr zum Glück nicht der Fall.

Inwieweit wird im Vertrag der Masterplan für die Überseestadt berücksichtigt?

Der Masterplan Überseestadt  ist natürlich die Grundlage, traf aber ursprünglich noch keine Aussagen für die Überseeinsel. Insofern handelt es sich bei unserem Vertrag um eine Fortschreibung, die aber natürlich der weiteren Konkretisierung bedarf, dessen sind sich beide Seiten bewusst. Die nächsten Schritte sind ein konkretisierender Rahmenplan und anschließend qualifizierte und detaillierte Bebauungspläne für verschiedene Teilgebiete.

Welche Architekturbüros sind das und wie gestaltete sich der Wettbewerb?

Ziel dieses Wettbewerbs war nicht, einen einzigen Sieger zu finden, sondern einen Entwurf, an dem von vornherein mehrere Büros beteiligt sein sollten. Ursprünglich waren sechs Büros eingeladen: zwei aus Berlin sowie je eines aus Bremen, Kopenhagen, Rotterdam und Wien. Wir sind recht international an die Sache herangegangen, da der Hintergedanke war: Es sollen unbedingt auch dänische und niederländische Erfahrungen und Ideen aus dem Bereich Hafenstadtentwicklung einfließen. Weitere interessante Aspekte kommen von innovativen Hauptstadtbüros aus Österreich und Deutschland. Nicht zuletzt benötigen wir natürlich dringend die Bremer Ortskenntnis regionaler Architekten. Wir haben für die weitere Vertiefung drei Architekturbüros ausgewählt: die Gruppe OMP aus Bremen, COBE aus Kopenhagen und SMAQ aus Berlin.

Wie sehen die Ideen konkret aus?

Der Grundentwurf ist geprägt vom Berliner Büro SMAQ. Aus dem Kopenhagener Entwurf kommt ein anderer Schwerpunkt ins Spiel. Denn ein Kern der Planungen wird der aus stadtästhetischer Sicht wichtige Erhalt der Kellogg-Siloanlage sein. Die Einbettung in die Gesamtarchitektur auf der Überseeinsel wollen wir dem dänischen Entwurf entnehmen – was insofern gut passt, weil von COBE die Pläne für das Kopfstück im Europahafen stammen. Es macht einfach Sinn, dass das alles aus einem Guss ist.

Modell zur Quartiersentwicklung Überseeinsel
Entwurf des Berliner Büros SMAQ. © WFB/Christine Peters

Welcher Beitrag kommt von den Architekten aus Bremen?

Die Schärfungen für viele Teilthemen kommen dann insbesondere aus Bremen: Unter anderem geht es darum, wie der bauliche Übergang zwischen Weser und Europahafen geschaffen werden kann. Ebenfalls stark bremisch geprägt ist die Quartiersentwicklung, denn nur ein Bremer Büro weiß wohl wirklich, was sich eine Bremer Familie wünscht und welche Wohnbedürfnisse sie hat: nämlich ein Reihenhaus mit einem kleinen Garten.

Sie wollen die Bebauung der Überseeinsel interessant für Familien gestalten?

Ja, tatsächlich ist eine Überschrift des Quartiers „Familie“. Das heißt im Klartext: Wir wollen explizit nicht das, was heute auf dem Immobilienmarkt Mainstream ist. Das wären 80 bis 120 Quadratmeter große Eigentumswohnungen für Paare ohne Kinder – das wäre in der Lage besonders teuer und ohne doppeltes Einkommen überhaupt nicht finanzierbar. Das ist unser Plan, doch es wird natürlich spannend, zu sehen, wie wir dieses anspruchsvolle Vorhaben de facto umsetzen können.

Warum liegt Ihnen das Projekt am Herzen und warum engagieren Sie sich für die Überseeinsel und treten als Investor auf?

Vor sieben, acht Jahren haben wir, ein benachbartes Grundstück für unsere wpd-Unternehmenszentrale von Kellogg’s gekauft. Insofern haben wir schon einen starken räumlichen Bezug zu diesem speziellen Areal. Außerdem haben wir uns seinerzeit für eine erhebliche Teilfläche ein Vorkaufsrecht vereinbart, da wir uns von Anfang an eine Erweiterung unseres Unternehmens genau an dieser Stelle vorstellen konnten. In unmittelbarer Nähe zu unserem Kerngeschäft gründeten wir Überseeinsel GmbH, die sich speziell auf das Gebiet Überseeinsel konzentriert. Was kann auf diesem Areal entstehen, das bislang eine stark industrielle Prägung hatte? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns seit einem Jahr. Mit der Intensivplanung haben wir aber erst im November 2017 begonnen, der rechtsverbindliche Kaufvertrag wurde im März 2018 unterschrieben und die Übergabe der Fläche an uns erfolgt zum 1. Juli 2018.

Sie kommen aus dem Sektor Windenergie – wie passt das zur Überseeinsel?

Wir suchen antworten auf Fragen. Die erste Frage für uns ist: Wie verknüpfen wir zukünftig die Sektoren Wärme/Heizen und Autofahren/Verkehr mit unserem Kerngeschäft, dem Sektor Strom? Das Ineinandergreifen dieser drei Sektoren wollen wir im Quartier Überseeinsel beispielhaft aufzeigen. Im besten Falle ist das Ergebnis ein CO2-freies Quartier. Wobei dazu eine ganze Menge mehr gehört: unter anderem die Einbindung des öffentlichen Nahverkehrs und die Fahrrad- sowie Fußgängertauglichkeit. Eine andere für uns bedeutsame Frage ist: Wie gestalten wir das Konzept für Bremerinnen und Bremer hochattraktiv? Wird es interessant sein zum Beispiel für unsere Mitarbeiter, die aktuell nach Hude, Oldenburg und Achim ziehen, weil sie nur dort günstigeren Wohnraum plus Garten vorfinden und sich deshalb bewusst die Strapazen des zusätzlichen Arbeitsweges antun? All diese Fragen werden wir erst in einigen Jahren beantworten können.

Das Projekt könnte in vielfacher Hinsicht Vorbildfunktion haben. Was bedeutet das für die Planung?

Unsere Ziele sind anspruchsvoll und die Umsetzung ist sehr ambitioniert. Wir müssen ein komplexes Dilemma lösen: Anspruchsvolle Architektur, teurer Grund und Boden und das Ganze in einer maßstabgebenden Energiestruktur sprechen erstmal nicht dafür, dass es für Familien leistbar ist. Was später einmal Vorbild wird, entscheiden die Nachbildner und nicht wir.

Luftbild Überseestadt 2016
Das Luftbild zeigt die Überseestadt mit dem neu zu entwickelnden ehemaligen Kellogg's-Gelände. © WFB / Studio B

Wer sind die weiteren Akteure und Projektbeteiligten? Inwieweit ist die Politik in der Pflicht?

Eine enge Zusammenarbeit mit den Bau-, Bildungs- und Wirtschaftsbehörden ist eine große Chance, gemeinsam tolle Dinge zu entwickeln. Wir selbst sind gerade dabei, bis zum zweiten Halbjahr 2018 unser eigenes Team optimal für das Projekt aufzustellen. Bei uns im Hause werden das zunächst sechs bis acht Personen im Kernteam sein, und für spezielle Fragestellungen können wir auf einige weitere Kollegen zugreifen. Im nächsten Schritt kommen dann die jeweiligen Projektteams für die einzelnen Unterprojekte dazu. Wir freuen uns jedenfalls schon auf die Zusammenarbeit mit der Verwaltung und den Fachplanern.

Stichwort Zeitplan: Wie sehen die konkreten nächsten Schritte und Etappenziele aus?

Es geht anfangs um die Wohnbebauung, aber auch um Neubauten für Unternehmen. Wir könnten Ende 2019 bis Mitte 2020 einen Bebauungsplan fertigstellen, den Spatenstich haben wir für 2021/22 angepeilt. Unser Ziel ist, in diesem Zeitkorridor einen ersten großen Abschnitt anzufangen, genauer: etwa ein Drittel der Gesamtfläche. Die weiteren Bereiche werden dann teilüberschneidend entwickelt, sodass das gesamte Bauvorhaben zwischen 2027 und 2030 abgeschlossen sein könnte. Im Idealfall werden aber die Pläne für zwei, drei Bestandsimmobilien sowie eine Schule vorgezogen und bauplanerisch angestoßen. Wir stellen uns dafür einen Baubeginn Anfang 2019 vor. Das wäre wegen der engen Zeitschiene für alle Beteiligten zugegebenermaßen ein kleiner Stresstest, aber nicht undenkbar.

Schauen wir in die Zukunft: Wie stellen Sie sich die Überseeinsel 2040 vor – haben Sie eine Vision?

Auf den Quartierstrassen gibt es keine Autos und viele Kinder. Das Quartier ist geprägt vom reinen Wasser der Weser, sauberer Luft, und schädliche Emissionen gehen von dem Quartier nicht aus. Kleine Läden vom Bäcker und Friseur über den Fischhändler bis hin zu einem Markt für Bio- und lokale Produkte bestimmen die Nahinfrastruktur. Die Überseeinsel wird zum gefragten, lebens- und liebenswerten Quartier reifen, vergleichbar etwa Ostertorviertel, Wachmannstraßenquartier oder dem Gebiet um den Findorffmarkt. 2040 ist die Überseeinsel das Bremer Quartier, in dem man leben und arbeiten möchte.


Am 29. Mai 2018 wurde zwischen der Stadtgemeinde Bremen sowie Dr. Klaus Meier als Vertreter der Investorengesellschaft Europa Überseeinsel GmbH der städtebauliche Vertrag  für die Überseeinsel geschlossen. Dr. Klaus Meier ist Geschäftsführer der Überseeinsel GmbH, geschäftsführender Gesellschafter der wpd windmanager GmbH & Co. KG und seit 24. Mai 2018 Aufsichtsratsvorsitzender der BLG AG (Bremer Lagerhausgesellschaft).


Weitere Informationen zur Überseestadt Bremen, Ansiedlung und Vermarktung erhalten Sie bei Dagmar Nordhausen, Tel. +49 (0)421 9600 252, dagmar.nordhausen@wfb-bremen.de und Jons Abel, Tel. +49 (0)421 9600 613, jons.abel@wfb-bremen.de.


Autorin: Kerstin Radtke

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